Die schwarze Kobra tanzt nicht mehr

Von Herbert Starmühler · · 2020/Jan-Feb

Fidel Castro ist schon drei Jahre tot, nun verstarb auch seine Prima Ballerina, Alicia Alonso. Die beiden haben das kubanische Ballett neu erfunden und ihm zu internationalem Rang verholfen.

Auf Kuba nannten sie alle nur „Alicia“. Sie war die Göttin des Spitzentanzes, verehrt, geliebt, gefürchtet. Eine Ausnahmeerscheinung. Stolz, elegant, gut vernetzt. Alle kannten sie, denn sie war immer schon da. Sie war so lange die Chefin der ersten Bühne des Landes in Havanna, wie andere auf der Welt waren, sie stand mit 98 Jahren noch immer der „Dirección General“ vor, ja das ganze Opernhaus und Heimstätte des kubanischen Nationalballets war längst nach ihr benannt: Gran Teatro de la Habana Alicia Alonso.

Schon 1931, mit elf Jahren, beginnt ihre sagenhafte Karriere. Sie ist Ballettelevin in der Escuela de Ballet de la Sociedad Pro Arte Musical in Havanna, lernt beim russischen Emigranten Nikolai Yavorsky und tritt im Teatro Auditorium auf.

Ab 1937 geht es so richtig los: Sie wird an den Broadway in New York gerufen, wird dort engagiert und tanzt und tanzt und tanzt. Sie trainiert an der School of American Ballet, dann in London bei der Exilrussin Vera Volkova.

Dann begann eine schwierige Zeit, denn Alonso erblindete fast. Sie war erst 20 Jahre jung, als eine Netzhautablösung festgestellt wurde. Alonso musste sich behandeln lassen. Nach der Operation fing das Martyrium erst an – drei Monate ganz ruhig im Bett liegen, keine Bewegungen machen, kein Tanz.

Eine zweite Operation folgte: Diesmal danach ein ganzes Jahr Bettruhe. Sie konnte nur die Zehen und die Füße bewegen, also trainierte sie wenigstens so. „Keeping my feet alive“, „die Füße am Leben erhalten“, nannte sie diese Übungen in Interviews.

Sie wird ihr ganzes Künstlerleben lang etwas undeutlich sehen, „wie in einem Nebel“, doch sie machte unbeirrt weiter, bei manchen Aufführungen wurden Seile zur Begrenzung und Orientierung gespannt, oftmals mussten die Scheinwerfer ordentlich aufgedreht werden, um den Weg zu zeigen.

Ehrgeiz und Ellenbogen. Vielleicht entwickelte sie gerade unter diesen misslichen Verhältnissen ihren extremen Willen zum Erfolg und zur Spitzenleistung, der ihr – zusammen mit ihrer robusten Ellbogentechnik – die Bezeichnung „Schwarze Kobra“ eingebracht hat. Sie tanzte in New York, in Moskau, Leningrad, Wien, Monte-Carlo, ihre puristische Technik wurde legendär.

Dann kam Fidel Castro. Das Raubein aus der Sierra Maestra hatte es geschafft und begann, seine Macht nach innen und auch auf dem internationalen Politparkett zu festigen. Dazu brauchte man Symbole und Helden, eine Heldin zumal.

Der Revolutionär holte die Ballerina nach Havanna zurück, er gab ihr und ihrem damaligen Mann Fernando Alonso das Theater und die nötigen Finanzen für den Aufbau einer Ballett-Truppe. Er erkannte, dass Ballett sein Image aufpolieren könnte.

Castro polterte auf politischen Bühnen, sie schwebte über die Tanzböden der Welt. Sie revanchierte sich für seine Großzügigkeit: nie übte sie öffentlich Kritik an den Zuständen in Kuba.

Selbst in einem Alter, als andere schon bis zur Bewegungsunfähigkeit ihre Pension genießen, tanzte Alonso noch den Spitzentanz: Im New Yorker Metropolitan Opera House zeigte sie mit 72 Jahren, wie man „Schwanensee“ interpretieren kann.

Längst war sie jeder Kategorisierung entflogen. Es regnete Orden, Medaillen, Preisen und Einladungen. Bis zu ihrem Ende.

Am 17. Oktober 2019 ist die schwarze Kobra in einem Spital in Havanna gestorben. Sie hinterlässt mehrere Generationen Ballerinas und Bewunderer, Ballettbegeisterte allen Alters auf der ganzen Welt.

Herbert Starmühler ist Journalist, Buchautor und Mit-Eigentümer eines Fachverlags in Wien. Seine Reportage-Reisen führen ihn nach Lateinamerika (Brasilien, Chile, Mexiko, Kuba u.a.), nach Asien (vor allem Kirgistan, Malaysia, Singapur) und Afrika (zuletzt Burkina Faso, Kenia, Gambia).

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